Teilnichtige Gesetze


 

Wenn ein Gesetz nichtig ist, ist herkömmlich gemeint, dass es vollständig nichtig ist. Ein Gesetz kann aber auch nur zum Teil nichtig sein: Der Begriff der Nichtigkeit und der Begriff der Verfassungswidrigkeit haben einen graduellen Charakter. Ein verfassungswidriges oder nichtiges Gesetz ist nicht notwendigerweise vollständig verfassungswidrig oder vollständig nichtig. Es ist zu zeigen, dass die Unvereinbarkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu teilnichtigen Gesetzen führt. Diese Rechtsprechung lässt sich so verstehen, dass das Bundesverfassungsgericht eine Ausnahme in die als verfassungswidrig erkannte gesetzliche Regelung einfügt, wodurch diese im Übrigen erhalten bleibt (geltungserhaltende Reduktion). Einem Einwand, wonach das Bundesverfassungsgericht damit quasi zu einer Art "Ersatzgesetzgeber" würde, wäre entgegenzuhalten, dass die Festlegung einer Ausnahme, die eine geltungserhaltende Reduktion bewirkt, hinter einer vollständigen Nichtigkeit zurückbleibt, die das Gericht anerkanntermaßen anzuordnen berechtigt wäre.





Beachtet man nicht, dass es zu (nur) teilnichtigen Gesetzen führen kann, sind unhaltbare Ergebnisse möglich. Deutlich wird dies anhand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den "anwaltlichen Erfolgshonoraren" vom 12. Dezember 2006, Az. 1 BvR 2576/04. Das Gericht konstatiert eine "Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes" und einen (bloßen) "Verstoß" gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Diese schon terminologisch unzutreffenden Formulierungen hatten durchaus nachteilige Konsequenzen für die Beschwerdeführerin. In der Folge habe nach Auffassung der Bundesverfassungsgerichts das gesetzliche Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare weiterhin anwendbar bleiben müssen, sodass das Gericht auch die berufsgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden betrachtete (ebd., Rz. 112). Dies war jedoch keineswegs zwingend: Es lag ein gegen den Verhältnismäigkeitsgrundsatz gerichteter Verstoß vor, der das Grundrecht der Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzte. Das Bundesverfassungsgericht hätte die berufsgerichtliche Verurteilung daher durchaus aufheben können.