Gibt es einen speziellen Tatbestand des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes?

In der grundrechtswissenschaftlichen Literatur wird behauptet, dass der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht den Bestand von Rechtspositionen betreffen würde – sondern lediglich einen Schutz des Vertrauens in ihren Fortbestand.

Besonderer Vertrauenstatbestand

„Ein solcher Vertrauensschutz steht unter eigenen Rechtfertigungsanforderungen, die sich maßgeblich von denen eines substantiellen Freiheitsschutzes vor Eingriffen unterscheiden. So sind etwa die Schutzwürdigkeit des Vertrauens und dessen Inanspruchnahme Voraussetzungen dafür, überhaupt eine Rechtfertigungsfrage aufzuwerfen. Auch zielen die Rechtfertigungsanforderungen nicht darauf, im Übrigen verfassungsmäßige Ausgestaltungen auszuschließen, sondern lediglich darauf, dass verhältnismäßige Übergänge oder Ausgleiche geschaffen werden, die dem schutzwürdigen Vertrauen Rechnung tragen“ (so und im Ganzen Thomas Kingreen/Ralf Poscher, Die Ausgestaltung von Grundrechten, Juristenzeitung (JZ) 2022, 961-970, 963).

Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht

Es ist zu zeigen, dass sich die Sichtweise der Literatur nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbaren lässt. Sie erweist sich zudem als unnötig abstrakt und kompliziert.

Vertrauensschutz ist Bestandsschutz

Wäre der allgemeine, nicht-grundrechtsspezifische Vertrauensschutz bloß auf einen Übergang gerichtet, wäre ein Ergebnis, das einen Bestand gewährleistet, nicht eingeschlossen. Zum Beispiel sind aber echt rückwirkende Gesetze grundsätzlich unzulässig, womit das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat (BVerfG v. 17.12.13, 1 BvL 5/08, Rn. 64 m.w.N.), einen Bestand erfasst. Die Begriffe Vertrauensschutz und Bestandsschutz sind austauschbar, wobei der Begriff des Bestandsschutzes vorzuziehen ist (siehe dazu im Einzelnen auch Frank Riechelmann, Die Angemessenheit der Begriffe - oder: Das Schutzgut des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes, ZRph, Münster 2021, 97-115). Vertrauensschutz ist nichts anderes als Bestandsschutz. Daher sollte allgemein von „Bestandsschutz“ gesprochen werden, also nicht nur, wenn damit ein grundrechtsspezifischer Vertrauensschutz gemeint ist, wie etwa beim Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG). Auch der allgemeine verfassungsrechtliche Vertrauensschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. BVerfG, Beschluss v. 30.6.20, 1 BvR 1679/21, 3. Leitsatz) ist als Bestandsschutz zu benennen.

aktualisiert 2025

siehe im Einzelnen dazu, insbesondere zu einem speziellen Vertrauenstatbestand und den dafür angeführten Kriterien einschließlich zur Bedeutung der Allgemeinheit des Gesetzes und einer Schutzfunktion des Gesetzes, hier abrufbar als pdf-Datei:

Kriterien des Bestandsschutzes, Rechtssicherheit als Freiheitsschutz, 2009, Kap. 6, S. 139-171


zum Thema siehe auch:

  • Beatrice Weber-Dürler, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, Helbing & Lichtenhahn, Frankfurt/M. 1983
  • Stefan Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, Duncker & Humblot, Berlin 1989
  • Johanna Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, Verlag Otto Schmidt, Köln 2001
  • Kyrill-Alexander Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, Nomos, Baden-Baden 2001
  • Anna Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, J.C.B Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 2002
  • https://jusplan.de